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Heinz Reinlein Erstellt am: 01.03.2005 17:56 Uhr   Titel: Interview mit Thomas Bierling
Heinz Reinlein:
"Thomas, du hast mit der Vertonung des Grundgesetzes Schlagzeilen in ganz
Deutschland gemacht. Sogar der Spiegel hat dich interviewt. Wie kamst du auf
die Idee einen trockenen Gesetzestext zu vertonen?"

Thomas Bierling:
"Die ursprüngliche Idee kam von Eva Weis, als wir uns Gedanken über
einen Vorschlag für die "Erste Nacht" machten. Als Musiker möchte man sich
mit dem Thema "Recht und Gerechtigkeit" natürlich auf seine Weise
auseinandersetzen. Da lag die Idee nicht mehr fern, das Grundgesetz und
davon insbesondere die 19 Grundrechte als Fundament unseres Rechtssystems zu
thematisieren. Ich habe das musikalische Konzept und die Grund-Kompositionen
erarbeitet und den Vorschlag eingereicht."

Heinz Reinlein:
"Ist die Musik in Kooperation mit der Sängerin Eva Weis und dem
Saxophonisten Peter Lehel entstanden, oder hast du alles alleine entwickelt?"

Thomas Bierling:
"Ich habe für jeden Artikel ein instrumentales Thema, ein Motiv, eine
Stimmung komponiert. Den Gesangspart hat Eva Weis selbst entwickelt, sowohl
hinsichtlich des musikalischen und performativen Ausdrucks als auch der
Text-Selektion. Ebenso hat Peter Lehel allergrößte Freiheit in der
Gestaltung seines Parts."

Heinz Reinlein:
"Wieviel Anteil hat die auskomponierte Musik und wieviel ist freie
Improvisation?"

Thomas Bierling:
"Nach der Vorstellung des Themas für jeden Artikel wird der
auskomponierte Teil in einer Kollektivimprovisation weiterentwickelt, bis
wir uns beim nächsten Artikel wieder im Notentext einfinden. Daher würde ich
50:50 schätzen, wobei das bei jeder Aufführung etwas anders werden kann."

Heinz Reinlein:
"Wie ist das Werk musikalisch einzuordnen?"

Thomas Bierling:
"Jeder der 19 Artikel zeichnet sich durch eine eigene Stimmung und
Tonsprache jenseits der klassischen Harmonik aus. Dabei finden sich unter
anderem Elemente aus der Minimal Music, ungewöhnliche Skalen und reduzierte
Tonräume oder auch freie und atonale Passagen an der Grenze zwischen Neuer
Musik und Freejazz.
Einen besonderen Stellenwert genießt natürlich die Interpretation
des Textes. Der Vokal-Part trifft eine kritische Auswahl des Textmaterials,
um besonders bedeutsame oder hinterfragenswerte Passagen zu kommentieren.
Abhängig von der musikalischen Grundstimmung des jeweiligen Artikels reicht
die vokale Interpretation von ausdrucksstarker Rezitation über Reminiszenzen
an klassische und Jazz-Gesangstechniken bis hin zu lautmalerischer und
dadaistischer Vokalartistik."

Heinz Reinlein:
"Wird die Musik veröffentlicht oder bleibt sie eine Live Performance?"

Thomas Bierling:
"Die intensive Bühnenpräsenz, die darstellerischen und
choreografischen Elemente von Eva Weis sind natürlich sehr wichtig. Wir
möchten es aber trotzdem einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und
werden Anfang April eine CD veröffentlichen auf dem Label BellaMusica."

Heinz Reinlein:
"Hast du vor weitere Gesetzestexte zu vertonen?"

Thomas Bierling:
"Nein, denn die meisten Gesetzestexte haben nicht die Bedeutung, die
dem Grundgesetz zukommt. Da könnte ich mich eher noch für die 10 Gebote
erwärmen."

Heinz Reinlein:
"Was ist dir besonders wichtig an diesem Werk?"

Thomas Bierling:
"Die 19 Grundrechte des Grundgesetzes bilden die Grundlage unseres
Gemeinwesens. Es geht darum, diese Tatsache aus der spröden Hülle des
Gesetzestextes zu befreien und in eine emotional erfahrbare Form zu bringen.
Die Resonanz des Publikums bei der Uraufführung hat gezeigt, daß uns dies
gelungen scheint und daß wir viele Menschen zum Nachdenken anregen konnten."